Woher kommst Du, Tetjana?
Ich stamme aus dem Donbass im Osten der Ukraine. Mein Heimatdorf liegt 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Zuhause sprechen wir einen ukrainischen Dialekt gemischt mit russischen Worten. Mein Papa hat Russisch gesprochen, er war aus Russland. Meine Mama lebt noch in der Ukraine. Sie spricht Russisch, Ukrainisch oder ukrainischen Dialekt.
Die Ukraine ist ein großes und reiches Land. Das Land hatte 45 Millionen Einwohner vor dem Krieg. Jetzt sind viele geflohen. Die Landwirtschaft ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Vor Kriegsausbruch haben wir Weizen, Sonnenblumenöl und andere landwirtschaftliche Produkte in die ganze Welt exportiert. Ich liebe die Ukraine. Die Leute sind nett. Wir haben alle gut gelebt.
Wieso bist Du geflohen, Tetjana?
Im Jahr 2015 haben russische Kriminelle meinen Mann gefoltert und umgebracht. Er hat für eine staatliche Korruptionsbekämpfungsbehörde gearbeitet. Wahrscheinlich haben seine Mörder einen Auftrag gehabt. Sie wollten vertrauliche Informationen. Nach der Tat sind sie über die Grenze nach Russland geflohen.
Dann habe ich Drohnachrichten bekommen: „Wir werden Dich finden. Wir werden Deinen Sohn und Dich umbringen.“ Da habe ich meinen kleinen Sohn genommen und bin einfach weg, mit einem Koffer sind wir nach Österreich geflohen. Mein Sohn war erst drei Jahre alt, er hat nicht verstanden, was passiert. Oft hat er gefragt: „Wo ist Papa, wann kommt Papa?“ Diese Fragen haben mich kaputt gemacht.
Wie ist es Dir in Österreich ergangen?
Nach unserer Ankunft habe ich um Asyl angesucht. Wir wurden nach Tirol geschickt, erst ins Heim am Weerberg, dann in das Haus Liah. Ich habe Deutschkurse besucht, Prüfungen abgelegt und beim Innsbrucker Gartenamt gearbeitet. Nach drei Jahren kam der erstinstanzliche Bescheid: Negativ! Nach der Beschwerde mussten wir noch eineinhalb Jahre auf die Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht in Wien warten. Dann haben wir endlich humanitäres Bleiberecht bekommen.
In der Zwischenzeit habe ich die Rot-Weiß-Rot Card, eine eigene Wohnung und eine Arbeitsstelle. Ich arbeite für eine Schmuckfirma. Mein Sohn kommt im Herbst in die erste Klasse Mittelschule. Ich bin froh, dass ich das alles erreicht habe. Ich möchte noch viel lernen und gute Arbeit machen. Ich fühle mich stark genug, um meine Pläne zu verwirklichen, Schritt für Schritt.
Wie erlebst Du jetzt den Krieg in der Ukraine?
Wie dieser Krieg angefangen hat, war ich böse auf meine Mama. Sie glaubt, dass Russland alles richtig macht, sie ist von der russischen Propaganda manipuliert. Dann habe ich sie gefragt: „Erinnerst Du Dich, was mit Deinem Schwiegersohn passiert ist?“ Sie daraufhin: „Ja, aber das waren Banditen. Jetzt sind Nazis in der ukrainischen Regierung. Man muss diese Leute entfernen.“ Ich: „Wer ist zu uns gekommen? Die Russen oder die Ukrainer? Die Ukrainer schützen ihr Land. Die Russen nehmen unser Land. Wer bombardiert unser Land?“ Jetzt rede ich nicht mehr mit ihr über den Krieg. Ich warte, dass alles vorbei ist.