Seit 2014 arbeitet Patrizia Aquilina mit Flüchtlingen, seit fast zwei Jahren leitet sie für die Tiroler Soziale Dienste (TSD) das Haus Liah in Igls. Wir haben sie über ihre Arbeit mit den geflüchteten Frauen und Kindern im Haus Liah befragt.
Patrizia, kannst Du uns etwas über Deinen beruflichen Werdegang erzählen?
Gerne. Nach der Schule hatte ich verschiedene Jobs, unter anderem in Kenia, der Türkei und Italien. Seit dem 2005 arbeite ich in Innsbruck im sozialen Bereich und habe berufsbegleitend ein Masterstudium in psychosozialer Beratung abgeschlossen.
Wieso hast Du Dich für die Arbeit mit geflüchteten Menschen entschieden?
Flucht war ein neues Thema für mich. Aber ich habe gleich gemerkt, dass ich meine Leidenschaft gefunden habe, wahrscheinlich wegen meiner eigenen Geschichte. Täglich ist es eine Bereicherung.
Was ist Dir wichtig in Deiner Arbeit?
Dass ich die Heimbewohnerinnen in den Dingen unterstütze, die sie nicht selbst bewältigen können. Dass ich sie in die Selbstständigkeit begleite. Dass ich Zeit für sie habe, wenn sie nur reden wollen. Sie erzählen mir dann von Zuhause; von der Mutter, die sie nicht mehr sehen werden; von der Gewalt, die sie erfahren haben. Oft sind es berührende und heftige Geschichten. Es gibt auch viele lustige Momente, beim Kochen oder wenn wir etwas organisieren: die Weihnachtsfeier, einen Geburtstag, ein Fest oder einen gemeinsamen Ausflug.
Was sind Herausforderungen in Deiner Arbeit?
Das Warten auf Interviews und Bescheide. Da kann ich gar nichts machen, das ist sehr hart. Ich habe schon Geflüchtete betreut, die sieben Jahre gewartet haben. Schwer ist es auch, wenn sie einen negativen Bescheid bekommen oder einen Bescheid, der nicht ihren Hoffnungen entspricht. Bei subsidiärem Schutz können sie z.B. ihre Familie nicht nachholen. Probleme gibt es auch mit Ämtern, wenn sie die Geflüchteten von oben herab behandeln. Wenn möglich begleite ich die Geflüchteten und unterstütze sie in ihren Anliegen.
Kannst Du uns etwas über die Frauen im Haus Liah in Igls erzählen?
Die Arbeit im Haus Liah ist immer intensiv. Die Frauen sind meist alleine, in einem Land, in dem alles neu und anders ist. Oft kommen sie aus einer Kultur, in der sie keine Verantwortung für sich und ihre Kinder übernehmen durften. Deshalb braucht jede Frau viel Unterstützung. Meist haben sie auch traumatische Erfahrungen in ihrer Heimat und auf der Flucht gemacht, Erfahrungen von sexueller Gewalt, Zwangsverheiratung oder Seenot. Oft mussten sie Kinder zurücklassen und sind jetzt einsam.
Im Haus Liah sind die Frauen gerne. Es ist das beste Heim, sagen sie. Die Natur tut ihnen gut, sie fühlen sich wohl, sind glücklich da zu sein. Die Frauen schätzen auch die vielfältige Unterstützung, die sie von den Ehrenamtlichen bekommen. Die gibt es so nicht in den anderen Heimen.
Was macht Dir Freude?
Es war immer mein Wunsch, das Haus Liah zu leiten. Ich bin sehr glücklich, hier zu arbeiten: wenn eine Frau mit einem Baby zu mir kommt und mir von sich erzählt; wenn mich eine Frau umarmt und mit mir lacht; wenn ich einfach zuhöre, wenn eine Frau traurig ist; wenn ich auf einen Tee eingeladen werde; wenn die Frauen sich so freuen, mich nach dem Urlaub wieder zu sehen. Ich liebe meine Frauen!
So viele Jahre war ich auf der Suche. In dieser Arbeit habe ich Sinn gefunden. Ich bin stolz, dass ich die Leiterin vom Haus Liah sein darf.